Montag, 30. Dezember 2019

Ernüchternder Genickschlag und motivierender Arschtritt: Meine zweite Leistungsdiagnostik am 27.08.2019


Nach meiner letzten Leistungsdiagnostik im Juni vergangenen Jahres am Institut für Sportwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz war es allerhöchste Zeit für eine erneute Bestandsaufnahme meiner derzeitigen läuferischen Leistungsfähigkeit. Und da ich seit Mai endlich wieder mal ununterbrochen trainieren konnte, war ich auch ausgesprochen zuversichtlich, wieder an meine Bestform vom Halbmarathon in Kopenhagen Ende letzten Jahres anknüpfen zu können. Aber wie so oft kommen manche Dinge erstens anders, und zweitens als man denkt. Selten lagen ein ernüchternder Genickschlag und ein motivierender Arschtritt so nahe beisammen...

Aber der Reihe nach: Nach Jahren unstrukturierten Laufens entschied ich mich im Juni vergangenen Jahres erstmalig zur Durchführung einer Leistungsdiagnostik. Sinn und Zweck des Ganzen: neben einer Bestandsaufnahme der aktuellen Leistungsfähigkeit gibt einem ein solcher Test auch wertvolle Hinweise zur sinnvollen Trainingsgestaltung in Form von auf Herzfrequenzen basierenden Trainingsbereichen. Ohne diese zu kennen läuft man simpel formuliert Gefahr, entweder zu schnell oder zu langsam - und somit im schlimmsten Fall zu hart oder zu lasch - zu trainieren. Kennt man jedoch seine individuellen Werte, lassen sich bei entsprechender Trainingsgestaltung zum Teil deutliche Fortschritte erzielen. Daher sollte sich jeder ernsthaft engagierte Sportler eigentlich regelmäßig mit diesem Thema auseinandersetzen.

Die damaligen Ergebnisse waren im Grunde ziemlich zufriedenstellend, und auch die daraus resultierenden Trainingsbereiche gaben mir eine hilfreiche Grundorientierung. Diese flossen dann zwar leider nur bedingt in die Gestaltung meiner Läufe ein, aber zumindest fiel bei mir damals schon der Groschen, dass man alleine durch schnelle Läufe nicht wirklich weiterkommt. Denn interessanter- und auf den ersten Blick paradoxerweise sind es gerade lange und langsamere Läufe bei niedrigeren Herzfrequenzen (in Kombination mit Intervall- und Tempoläufen), die einen langfristig voranbringen und schneller werden lassen, da diese den eigenen Fettstoffwechsel und die Sauerstoffversorgung optimieren. Der Effekt: man ist länger leistungsfähig.

Nach dem ersten Leistungstest stand für mich im Grunde direkt fest, dass es nach ein paar Monaten eine Neuauflage geben würde, aber irgendwie plätscherte das Thema dann doch ein wenig vor sich hin. Wie so oft ergab sich dann aber eine ungeahnte neue Option, die ich auch sofort nutzte: Seit knapp zwei Jahren bin ich nämlich ein großer Fan des Frankfurter Laufshops. Neben toller Beratung und einer umfassenden Auswahl an verschiedenen Laufsschuhen bietet der Laden auch zahlreiche Veranstaltungen, wie beispielsweise einen wöchentlichen Lauftreff oder verschiedene Seminare oder Vorträge. Und über den monatlichen Newsletter bin ich irgendwann zufällig über einen Termin für eine Leistungsdiagnostik am 27.08.2019 gestolpert, für den ich mich auch direkt angemeldet hatte.

Veranstaltet wurde die Leistungsdiagnostik von dem Sportwissenschaftler Dr. Reiner Föhrenbach vom Institut für Sportdiagnostik in Offenbach, das spezialisiert ist auf sportartspezifische Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung in der Prävention, Rehabili­ta­tion und für Freizeit- bis Hochleistungssportler in Ausdauerdisziplinen. Ziel des Tests: mittels einer Laktatdiagnostik ein individuelles und opti­males Grundlagenausdauer- und Fett­stoffwech­seltraining für eine positive Ausdauer­entwicklung und Reduktion der gesundheitlichen Risikofakto­ren zu erstellen. Neben einem auf drei Wochen angelegten Rahmentrainingsplan erhielt man auf Basis der ermittelten Werte auch eine Leistungsprognose für eine Halbmarathon- bzw. Marathondistanz.

Veranstaltet wurde der Leistungstest in den Räumlichkeiten des Frankfurter Laufshops, wo ich nach Ladenschluss als überraschenderweise einziger Teilnehmer eintrudelte. Wie bei meiner letzten Leistungsdiagnostik handelte es sich auch dieses Mal um einen klassischen Stufentest, bei dem auf einem Laufband verschiedene, steigende Geschwindigkeiten durchlaufen werden, während permanent die Herzfrequenz und in regelmäßigen Abständen durch Blutentnahme am Ohrläppchen die aktuelle Laktatkonzentration erfasst wird. Im Gegensatz zum Vorjahr enthielt der Test allerdings keine (teure) Atemgasanalyse - und war um einiges länger.

Wie bereits angedeutet, waren die Resultate des Leistungstests Genickschlag und Arschtritt zugleich. Genickschlag, da die Werte nicht so gut waren wie erhofft und trotz intensiven Trainings nur leicht besser als im Vorjahr waren. Arschtritt, da laut den Ergebnissen eine durchaus deutliche Leistungssteigerung möglich ist - eine entsprechende fundamentale Veränderung des bisherigen Trainings vorausgesetzt. Die entscheidende Erkenntnis des Tests war nämlich, dass meine bisherigen Laufaktivitäten viel zu intensiv waren und sich dadurch keine nachhaltig deutlichen Verbesserungen einstellen konnten. Oder in den Worten von Dr. Föhrenbach:

"Anhand der relativ hohen Laktatkonzentrationen auf den ersten submaximalen Belastungsstufen können wir davon ausgehen, dass die in der Vergangenheit bevorzugten Laufgeschwindigkeit zu schnell – nämlich im intensiven DL-Bereich (beginnender Kohlenhydratstoffwechsel) gelaufen wurden, so dass sich keine optimalen aeroben Anpassungen einstellen konnten."

Die Ergebnisse im Detail:
  • die aerob-anaerobe Schwelle (Fettstoffwechselgrenze) wurde bei 4,0 mmol/l Laktat mit 3,66 m/s erreicht; somit konnte ich mich im Vergleich zum Vorjahr (3,36 m/s) um 0,30 Meter pro Sekunde verbessern, bin also schneller geworden. Umgerechnet auf 1.000 Meter entspricht das einer Maximalgeschwindigkeit von 4:33 Minuten (2018: 4:57)
  • die Herzfrequenz lag dabei mit 162 Schlägen pro Minute deutlich höher als im Vorjahr (155). Somit war ich zwar schneller - allerdings auch bei höherer physischer Belastung
  • das grobe Gesamtfazit: "Damit liegt derzeit eine mittlere bis gute Ausdauerleistungsfähigkeit vor"; hier hatte ich mir natürlich mehr erhofft: zumindest gut bis sehr gut
Auf Basis der ermittelten Werte wurden dann zum einen die bereits erwähnte Laufzeitprognose ausgegeben. Und die liegt mit 1:38 Stunden für den Halbmarathon (± 2min) erstaunlich nah an (und zum Glück noch ein wenig unter ;-) meiner bisherigen Bestzeit von 1:41:33 vom letztjährigen Copenhagen Half Marathon. Und dass trotz zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr optimaler Form. Für den Marathon liegt die Prognose bei 3:45 Stunden (± 3min), was ich so in der Praxis natürlich erst noch bestätigen muss. Aber zumindest schonmal schön zu wissen, dass bereits eine Zeit deutlich unter vier Stunden möglich ist.

Der letztlich wichtigste Ausfluss der Leistungsdiagnostik waren neben einem auf drei Wochen angelegten (und verlängerbaren) Trainingsplan aber natürlich meine individuellen Trainingsbereiche. Diese sind im Vergleich zu meinen bisherigen Leistungsdiagnostiken etwas differenzierter und sehen insgesamt sechs Stufen im Geschwindigkeitsbereich von 6:40 min/km bis 4:10 min/km vor. Die Belastungen und Intensitäten reichen dabei vom Regenerativen Dauerlauf (reg. DL), dem Extensiven Dauerlauf (ext. DL), und dem Intensiven Dauerlauf (int. DL) bis hin zu Tempo-Dauerläufen (TDL),
Intervalldauerläufen (IVDL) und reinen Tempoläufen.

Was habe ich gelernt: Tempoläufe sind was feines - allerdings nicht, wenn das komplette Training daraus besteht. Was einen/mich wirklich weiterbringt, ist eine intelligente Mischung aus langen, langsamen Dauerläufen im niedrigeren Pulsbereich, intensiven bzw. Tempoläufen im höheren Pulsbereich, und Intervallen im maximalen Pulsbereich. Nur dadurch sind mittel- bis langfristig deutliche aerobe Leistungssteigerungen zu erzielen, die einen nicht nur schneller, sondern vor allen Dingen ausdauernder machen. Challenge accepted :-)

PS: Wem eine derartige Leistungsdiagnostik zu aufwändig bzw. zu teuer ist, kann auf der Webseite des Laufcampus auf Basis der letzten Bestzeiten auch ohne großen Aderlass Trainingsbereiche und potenzielle Laufzeiten ermitteln (und sich bei Interesse auch einen in den ersten vier Wochen kostenfreien Trainingsplan erstellen) lassen. Angelehnt an meine bisherige Bestzeit ist das derzeit theoretisch mögliche Potenzial von 1:38:32 auch wieder verdammt nahe an meinen anderen Prognosen dran, macht also einen ausgesprochen validen und brauchbaren Eindruck. Gründer des Laufcampus ist im Übrigen Andreas Butz, seines Zeichens Buchautor, Trainer, Vortragsredner und  140-facher Marathonläufer mit einer Bestzeit von 3:04:14 Stunden. Der Mann hat also durchaus Ahnung ;-) 

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